Am 24. Juni wurde Daniel, ein 18 Monate alter nigerianischer Junge, auf dem Gelände der Containerunterkunft für Geflüchtete Curslacker II in Hamburg-Bergedorf von einem Auto überfahren. Was ist genau passiert?
Wir haben mit der Mutter gesprochen, die den tödlichen Unfall unmittelbar mit ansehen musste, und haben auch andere Bewohner des Container-Lagers befragt. Demnach hat ein Autofahrer das hinter seinem Kastenwagen stehende Kind beim Rückwärtsfahren auf dem Zufahrtsweg direkt vor den Wohncontainern überfahren. Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Daniel starb an schweren Kopfverletzungen. Die Mutter hatte noch versucht, das Kind zu warnen und den Fahrer durch lautes Rufen zu stoppen. Die Familie steht unter Schock und trauert über den sehr tragischen Verlust ihres geliebten Kindes und kleinen Bruders.
Wie ist denn die Zufahrt zu den Unterkünften geregelt?
Die Schranke am Eingang ist mit einem Vorhängeschloss gesichert und wird für Bewohner grundsätzlich nicht geöffnet, auch nicht für den Transport oder die Anlieferung von schweren Familieneinkäufen oder Möbeln. An der Zufahrtsschranke befindet sich zudem ein rotes Schild mit der Aufschrift »Vorsicht – spielende Kinder! Schrittgeschwindigkeit (max. 7km/h)«. Der Fahrer hatte trotzdem per Auto ein Paket zu dem Containerhaus gebracht. Es war offensichtlich, dass vor dem Haus und in der Nähe mehrere Kinder spielten, es gab nur wenige Meter vor ihm eine ungefährliche Wendemöglichkeit.
Der tödliche Unfall hätte also verhindert werden können?
Natürlich. Leider gibt es keine ausreichende Kontrolle der Einfahrt durch die Verwaltung »Fördern & Wohnen«. Die Containerhäuser und Spielplätze befinden sich ohne Abgrenzung direkt an dem Zugangsweg. Im Verantwortungsbereich der städtischen »Fördern & Wohnen« ist nun bereits das zweite getötete Kind durch rückwärtsfahrende Fahrzeuge in den letzten Jahren zu beklagen. Am 26. Juli 2018 wurde das Kleinkind Manna auf dem Gelände der Containerunterkunft Blomkamp 61 in Hamburg-Osdorf von einem Eiswagen rückwärts überrollt und starb.
Der Vater des Kindes war von einem polizeilichen Übergriff betroffen?
Als der Vater des kleinen Daniel vom Tod erfuhr, wollte er den toten Jungen noch ein letztes Mal sehen. Als er aber aus dem Krankenwagen ausstieg, in dem er gerade dessen Mutter beistand, stolperte er und fiel zu Boden. Dort wurde er von mehreren Polizeibeamten gewaltsam fixiert. Der verängstigte Vater musste den auf ihm knieenden Beamten erklären, dass er doch nur seinen Sohn sehen wolle, bevor sie ihn schließlich aufstehen ließen. Ihm wurde offensichtlich auch nicht erklärt, warum er eigentlich festgehalten wurde.
Wie ist der Umgang der Polizei und Medien mit dem tragischen Tod?
Die Polizei veröffentlichte einen Bericht, in dem behauptet wird: »Nach ersten Erkenntnissen gibt es Hinweise darauf, dass ein 18 Monate alter Junge unbemerkt unter das Auto gekrabbelt ist, als der Fahrer seinen Wagen in Bewegung setzte.« Die Darstellung mit der impliziten Schuldzuweisung an Daniel und die Eltern ist für die Familie unerträglich und hat in den sozialen Medien zu zynischen und menschenverachtenden Kommentaren geführt. Die Familie ist davon schockiert und traumatisiert. Wir fragen deshalb, von wem die Polizei derart inkorrekte »Hinweise« erhalten haben will, die die Presse einmal mehr völlig ungeprüft weitergegeben hat.
Welche Konsequenzen fordern Sie nach dem Vorfall?
Wir haben die Familie dabei unterstützt, dass sie als Übergangslösung in eine andere »Wohnunterkunft« für Geflüchtete in Lohbrügge umziehen kann. Wir fordern unvoreingenommene Ermittlungen, einschließlich deren korrekte Kommunikation in die Öffentlichkeit. Auch die Betreibergesellschaft »Fördern & Wohnen« sollte zur Rechenschaft gezogen werden, weil sie es systematisch versäumt hat, solche gefährlichen Situationen auf dem Gelände zu unterbinden. Man sollte dieses tragische Ereignis zum Anlass nehmen, endlich einen Schlussstrich unter die menschenverachtende Nutzungsverlängerungspraxis der unhaltbaren Zustände in der Dauer-Notunterkunft Curslack II zu ziehen.
Sista LaToya Oloruntoyin Manly-Spain ist Psychosoziale Therapeutin und Mitbegründerin der Black Community Coalition For Justice and Self-Defense
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