Galerien - Hanakam & Schuller: Kunst ist ein Zaubertrick - Wiener Zeitung Online

2022-05-14 04:05:44 By : Mr. Matteo Yeung

Dieses Kaminfeuer senkt nicht nur den Puls wie ein herkömmlicher Bildschirmschoner, es hat auch viele Motivationssprüche drauf. (Irgendwas mit der Wow-Power.) Einzelbild aus Hanakam & Schullers 3D-Animation "Fireplace" (2022).

"Hot and Steamy" – klingt nach einem unzertrennlichen Paar. Als würden die zwei zusammengehören wie Clever & Smart, Bonnie und Clyde, Tom und Jerry oder Scott & Huutsch. So heißt freilich nicht das Duo selbst, sondern dessen aktuelle Ausstellung. Der Name des deutsch-österreichischen Teams in Kunst und Leben lautet vielmehr Hanakam & Schuller.

Wer sich jetzt eine schwüle Atmosphäre erwartet ("heiß und dampfend", wohlgemerkt): Man betritt den Showroom , hallo? Nicht die Sauna der Galerie Krinzinger. Ins Schwitzen gerät man jedenfalls nicht, auch wenn es gleich zu Beginn um die Flammen der Leidenschaft geht, um die Liebe (angefacht von Shakespeares Versen und jenen von Bettina von Arnim), und im Hinterkammerl ein Kaminfeuer lodert, allerdings bloß ein virtuelles. 

Sammelleidenschaft in poppigen Farben: Und das ist erst der "Speicher #1" von Hanakam & Schuller. Es gibt noch einen zweiten. Mindestens.

Von den Dingern, die sich leitmotivisch durch Werk und Schau ziehen, kriegt man ebenfalls keine roten Wangerln (scham rote nämlich), obwohl es sich da um ziemlich intime, nein, nicht Körperteile, aber dafür Paarungen handelt. Okay, Markus Hanakam (1979 in der heimlichen Hauptstadt des Ruhrgebiets geboren, im nordrhein-westfälischen Essen) und Roswitha Schuller, gebürtige Friesacherin (Jahrgang 1984), die nun zusammen in Wien leben und werken (und sammeln), die stecken lediglich diverse Plastikverschlüsse (von Waschmittelflaschen, Kosmetika et cetera) zu poppig bunten "Kapseln" mit Fetisch- bzw. Kultstatus zusammen.

Mich erinnern diese rätselhaften "Verschlusserlis" (so tituliere ich sie – in Ermangelung einer offiziellen Bezeichnung) ja ein bissl an den Kunststoffdotter des Überraschungseies. Nur dass der Betrachter das Mysterium nicht enthüllen, beim Schlüpfen nicht nachhelfen kann, zumal hier ausschließlich Fotos und Filmaufnahmen der besagten Objekte existieren. Doch selbst wenn diese Behältnisse leer sein sollten (was anzunehmen ist), enthalten sie natürlich trotzdem etwas, sind sie geheimnisvoll .

Ob Archäologen dereinst darüber (über diese "Götzenbilder" der Plastikzeit, die womöglich dem weltbeherrschenden Material huldigen, auf dass es den Leuten niemals ausgehe) genauso ihre Mutmaßungen anstellen werden wie ihre Kollegen in der Vergangenheit über die sogenannten Venusfigurinen der Stein zeit? Die Venus von Willendorf zum Beispiel hält man gar nicht mehr für ein Fruchtbarkeitsidol. Im Gegenteil. Der paläolithische Mensch habe in der hängebrüstigen und übergewichtigen Nackerten die Großmutter verehrt. (Diese Kurzhaarlocken – waren die nicht auch bei uns eine Zeitlang "die" Omafrisur?) Statt der Magna Mater, der archetypischen Großen Mutter, die Großmutter also. Die Großmutter von Willendorf. 

Mit seinem Abrakadabra-Handschuh kann das Duo Hanakam & Schuller theoretisch alles in Kunst verwandeln. Wie diese Kapsel aus Plastikverschlüssen.

Wie Ziergegenstände schlichten der Deutsche und die Kärntnerin ihre handlichen Kreationen in Regale ein, outen sich als passionierte Sammler. Respektive weist der Titel der zwei gut gefüllten C-Prints auf Kodak-Endura-Papier, die alle möglichen (selbstverständlich nicht alle möglichen) Kombination durchspielen und einen erstaunlichen Formen-, Farben- und Variantenreichtum demonstrieren, die Kollektion als "Speicher" aus. Ein umfangreiches Archiv, aus dem sich eine behandschuhte Hand immer wieder ein Exemplar herausfischt, um es einzeln zu präsentieren, aus der Masse zu isolieren, seinen Wert als Unikat zu unterstreichen, als etwas Besonderes.

Vormals waren diese Handschuhe weiß wie die für den sicheren Umgang mit empfindlichen Kunstwerken, inzwischen sind sie farbenfroh und mit Abbildern dieser Artefakte aus dem Dunstkreis des Readymades versehen. (Readymade: Fertigkunst. Ein zum Kunstwerk erklärter industriell gefertigter Gebrauchsgegenstand. Ach, wie wenn man den Inhalt einer Konservenbüchse auf einen Teller klatscht und feierlich verkündet: "Das ist ein Essen!"? So ähnlich. Eine Spur eleganter eventuell.) Aufgedruckte Buchstaben fügen sich zu einem Zauberwort. Bitte? Falsch. Das andere Zauberwort. Hokuspokus? Fast. Abrakadabra! Hanakam & Schuller führen ja tatsächlich einen Trick vor: das Kunststück, bei dem massenproduzierter Kunststoffmüll in ein Stück Kunst verwandelt wird, in ein Kleinod, in etwas, das man nicht mehr einfach in die Gelbe Tonne schmeißen kann.

Pop-Art? Zumindest beschäftigt sich diese, in klaren Farben, mit der Alltagskultur und ausgiebigst mit Konsumgütern. Für die Artikel, von denen die Verschlüsse stammen, könnte man außerdem theoretisch Werbung machen. Die Marken sind halt anonymisiert. Weil die Körper der Weichspülerflaschen und sonstigen Behälter fehlen. Eine konzeptuelle Pop-Art demnach? 

Konventionelle Bildhauer sind die ehemaligen Schüler von Erwin Wurm eben nicht (was sie mit ihrem Ex-Lehrer gemein haben). Noch dazu haben sie vor der Bildhauereiklasse noch die für Kunst und Design besucht. Beides an der Wiener Angewandten. Kein Wunder, dass ihr OEuvre durchlässig ist für allerlei Gattungen und Medien.

Wer ist Gino Amorino? Keine Ahnung. Aber Markus Hanakam & Roswitha Schuller haben diese Leucht-Bubble (2022) nach ihm benannt.

Überall Gratwanderungen zwischen Skulptur und angewandter Kunst. Die voluminöse amorphe Blase etwa, die einen quasi im Vorzimmer des Showrooms begrüßt, ist eindeutig funktional. Eine zwei Meter große Mega-Glühbirne, außen pittoresk "schmutzig" (bzw. dezent marmoriert). Oder eher ein Glühkürbis . "Gino Amorino" ist das Opus betitelt. Könnte ebenso der Künstlername eines Pornodarstellers sein. Andererseits sagen die Italiener zu ihren Putten "Amorini". Zu ihren barocken Babyspeck-Engerln. Und rundlich ist der von der Decke baumelnde Leuchtkörper. Nur Flügel hat er keine.

Einen noch imposanteren "Kürbis" (oder mehr eine Erdnuss) haben Hanakam & Schuller in einem Marmorsaal ausgesetzt. In einem Sanatorium. Dort kommt die surreale Ausstrahlung dieses Raumverdrängers perfekt zur Geltung. Als enigmatischer Protagonist in einem Zweikanalvideo, in dem Architek-tur und Na-tur in einen Dialog miteinander treten und beide sich obendrein mit der Weltlitera-tur unterhalten. Zwei parallel projizierte Filme, gedreht irgendwo im Schwarzwald.

Links wandert die Kamera durch ein repräsentatives Interieur mit elementarer Landschaftsmalerei, rechts wird im Gegenzug die Kunst in die Botanik getragen, bewegt sich eine Prozession durch den Wald, wird zur wandelnden abstrakten Buntheit. Behutsam werden die Elemente angefasst (mit Handschuhen – um sie zu schonen?), das Wasser eines Baches . . . und man sieht obige "Verschlusserlis" in Aktion. Kryptisch werden sie ins Bild gehalten, treffen sich zu einer ominösen kultischen Handlung. Rituelle Kommunikationsmittel einer Geheimsprache. Wobei Plastik in der Natur ja nicht ganz unproblematisch ist.

Simultan werden Liebesgedichte rezitiert. Zum einen ein episch tragisches (oder ein Ausschnitt daraus) von William Shakespeare. "Venus und Adonis." Über eine mit einem Jagdunfall endende unglückliche, weil einseitige Liebe mit unerwiderter Fleischeslust. Blumig die Ausdrucksweise. ("Wishing her cheeks were gardens full of flowers . . .") Zum andern gesteht Bettina von Arnim einem gewissen Pamphilio ihre (natur)romantischen Gefühle: "Im Grase liegen! / Im Regengeträufel / Den Busen kühlen, / Den heißen! / Den du bewegst, Liebe . . ."

Von Shakespeare stammt der Titel für dieses naturlyrische Zwei-Kanal-Video von Hanakam & Schuller: "The Moist Cabinet" (2021).

Die beiden Stimmen, eine männliche, eine weibliche, wechseln sich ab, überlagern sich, verweben sich mit dem Vogelgezwitscher (oder kommt das live von draußen?) zu einem akustischen Gewirr. Oder schweigen einträchtig im Duett, zweistimmig, verdoppeln die Stille. Der Titel der zweiteiligen Videoarbeit: "The Moist Cabinet." Ob mit dem feuchten Kabinett (oder Schränkchen) was Anatomisches gemeint ist? Vermutlich nicht. Auf alle Fälle ist das ein Zitat aus Shakespeares Versepos, das von Metaphern bloß so strotzt. 

Am Ende brennt’s. Da quatscht einen ein sprechendes Feuer voll. Zwar kein brennender Dornbusch, aber immerhin flackert es in einem offenen Kamin (der wiederum mit einem Relief dekoriert ist, das erneut die Formen der "Verschlusserlis" aufgreift). An den animierten Flammen à la Bildschirmschoner, die bei jedem Wort begeistert aufzulodern scheinen, kann man sich vielleicht nicht wärmen, an den wohligen Motivationssprüchen dagegen umso mehr. An dieser Litanei des positiven Denkens. Man wird eingelullt vom Knistern und einer beruhigenden Männerstimme, die die "Wow-Power" predigt, was vom Erfolg erzählt und einem befiehlt: "Think greater!" Denk größer! Und morgen ist sowieso schon heute. ("Get ready for tomorrow, because you will have to play a part in it." Mach dich bereit für morgen, denn du wirst eine Rolle darin spielen müssen.)

Hanakam & Schuller haben in der Galerie Krinzinger Feuer gemacht (links). Rechts: zwei volle "Speicher" mit rätselhaften "Plastik-Dingern".

Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass diese Botschaften und Ratschläge von einem geistlichen Motivationstrainer sind: vom 2015 verstorbenen US-amerikanischen Fernseh- und Autokino-Pastor sowie Gründer der Crystal Cathedral in Kalifornien, Robert H. Schuller. (He, der hat denselben Nachnamen wie die zweite Hälfte von Hanakam & Schuller, wie die Roswitha Schuller!)

Ja, diese Kunst ist "oberflächlich", zelebriert die Hülle (und das Mysterium, das unergründliche Rätsel). Freilich mit Tiefgang. An den glitzernden Pailletten, mit denen ein simples Wandregal graublau und kitschig überzogen ist, mag der Blick abprallen, das Brettl frech eine "Nyxkonsole" zu nennen (nach der Nyx, der griechischen Göttin der Nacht – hm, weil in der Nacht alle Pailletten grau, Tschuldigung: graublau sind?), gibt ihm jedoch eine tiefere Bedeutung. Oder suggeriert eine. Ein durchaus gekonntes Spiel mit dem Schein und dem Sein. Nicht zuletzt sind Hanakam & Schuller Magier, die dem Banalen eine Aura des Außergewöhnlichen verpassen.

Hanakam & Schuller: "Hot and Steamy"

Di. – Fr.: 12 – 18 Uhr