Kaum Licht, viel Wasser und wenig Worte - brand eins online

2022-09-02 21:30:35 By : Ms. June Li

#__Die Jungs, die für den zweitreichsten Mann Finnlands arbeiten, haben es gut. Im Keller steht ein Billardtisch, eine Playstation inklusive Simulationsstuhl, einen Fitnessraum gibt es auch und der Masseur ist gratis. Vor der Tür parkt ein BMW Z3, der ist für den „Fellow Of The Week“, den Angestellten der Woche, der mit dem Sportwagen eine Woche lang im nahe gelegenen Helsinki bei den Frauen punkten kann. Und wenn jemand ein Mountainbike kaufen will, dann zahlt seine Firma zwei Drittel des Anschaffungspreises.

Was aber Gesten oder gar Zeichen innerer Regung anbetrifft, ist Gründer Risto Siilasmaa ein echter Geizhals. Zehn Minuten redet er schon über F-Secure, ehemals Data Fellows, über die in Helsinki eine Freundin sagte, dass es „das heißeste Unternehmen Finnlands“ sei und die Aktien „dermaßen sexy“, und er hat nicht mal geblinzelt. Siilasmaa zählt seine Kunden auf. Die französische Armee, die NASA, die Universitäten Harvard und Berkeley, das US-Verteidigungsministerium, die Dresdner Bank, Siemens, Amazon, Yahoo, die Deutsche Telekom, Boeing. Dann beschreibt er sein Produkt: Verschlüsselungs-Software für Netzwerksicherheit und Datenschutz. Ein Hauch von Spionage und Abenteuer weht durch den Raum. Doch den sprüht der Zuhörer selbst in die knochentrockene Luft. Risto Siilasmaa hat mit Gestik, also mit der Hand eine Kurve in die Luft malen, um eine Aussage zu unterstreichen, oder Mimik, vielleicht mal eine Augenbraue hochziehen – mit solchem Firlefanz hat Siilasmaa nichts am Hut.

Unser erster Gesprächspartner und gleich ein echter Finne? Der Mittdreißiger, mit seiner Himmelfahrtsnase sieht er aus wie ein groß gewordener Dreikäsehoch, spricht über nichts als Daten und Fakten. Warum soll er auch Luftsprünge machen? Das tut schon der Kurs. Am ersten Tag des Börsengangs Anfang November stieg die Aktie um 350 Prozent. Die Leute standen vor den Geschäften in der Innenstadt Helsinkis Schlange, denn auch dort wurden Anteile ausgegeben. Seine Pressefrau, die mit uns im Konferenzraum sitzt, hört ihm verhebt zu, schaut verträumt aus dem Fenster oder knabbert selbstvergessen an ihren Fingernägeln. Nicht, dass sie gelangweilt wäre. Die Frau ist einfach entspannt.

Unsere Mission: Antworten zu finden auf die Frage, wieso ausgerechnet Finnland zum europäischen Vorreiter der digitalen Revolution wurde. Nach einer gravierenden Krise Anfang der neunziger Jahre – die Sowjetunion fiel von heute auf morgen als Handelspartner Nummer eins weitgehend aus – baute sich Finnland zum europäischen Hightech-Land Nummer eins um. Ein Viertel des Exports besteht heute aus Technologiegütern. Zufall oder glückliches Zusammenspiel schicksalhafter Faktoren? Und: Wie sind die Menschen in einem Land, in dem zwei Drittel ein Handy besitzen, jedes Schulkind eine E-Mail-Adresse und fast jeder zweite Haushalt Zugang zum Internet hat? Wieso ausgerechnet Finnland? Und: Was können wir von den Finnen lernen?

Zuerst einmal: Zuhören. Hören wir Risto Siilasmaa zu, der gerade über die mobile Revolution redet. Sicherheit als Service“ ist das Trademark von F-Secure. Genauso beschützt wie der Kunde eines leibhaftigen Sicherheitsdienstes soll sich der Datafellows-Abonnent bewegen, sei es im Firmennetzwerk, mit dem Laptop bei einer Kunden-Präsentation – oder unterwegs mit dem Handy. Denn wenn ab Frühjahr dieses Jahres Banken und Telefonkonzerne WAP-Dienste per Handy und PDA anbieten, so ist das aus Sicht mancher Datenschützer brandgefährlich.

Risto Siilasmaas Programmierer haben bereits einen WAP-Virus verhaftet, der ein infiziertes Handy eine 0190er-Telefonnummer anwählen lässt und sich bei jedem Gespräch fortpflanzt. Es gibt natürlich noch weitere Gefahren, doch darüber redet er lieber nicht. Er will ja keine schlafenden Hacker wecken. Oder seine Kunden verunsichern.

Das mit den Hackern ist so eine Sache. Sicher, jeden Tag versuchen Leute ins Netz von F-Secure einzudringen, doch die hausinterne Sicherheit wird – jetzt bewegt sich Siilasmaa doch ein wenig im Stuhl und ja, tatsächlich, er lächelt – die wird von einem ehemaligen Interpol-Mitarbeiter geleitet.

Der Lotse des Wandels? Nokia Wenn also demnächst im E-Commerce und bei Handy-Auktionen nicht nur Daten, sondern auch Geld transportiert wird, liegt das passende Produkt für den Geleitschutz des sensiblen Zahlungsverkehrs bereit. Internetprovider und Telefonnetzbetreiber bieten demnächst den Virenschutz von F-Secure als Service an. Verträge mit dem finnischen Telefonmulti Sonera laufen bereits. Für F-Secure vergrößert sich der Kundenkreis von ein paar tausend Großkunden auf hundert Millionen Internet-User. Auch hier verzieht der Gründer keine Miene, doch auf geheimnisvolle Weise legt sich die Euphorie, die diesem Mann abgeht, auf den Zuhörer. War das die erste Lektion in finnischem Marketing? Eine Idee so lakonisch herunterleiern, bis der Zuhörer von allein anfängt zu singen?

„So wird man reich. Aber Marken macht man damit keine“, denke ich auf dem Rückweg nach Helsinki. Hier in Espoo, nahe Helsinki, fahren wir durch einen dieser tristen Plattenbauvororte. Braune Quaderbauten auf der rechten Seite, beigefarbene auf der linken. Dazwischen eine hellgrüne Fußgängerbrücke. Das Licht ist grau. Die Finnen tragen bunte Ski-Jacken, dazu noch buntere Kunstlederbeutel.

Fünf Minuten fahren wir auf der Autobahn und passieren auf der linken Seite das Nokia-Hauptquartier. Ein dynamischer Glasbau am Seeufer. Kraftvoll, aber auch so, als könne man den Block schnell wieder vom Ufer entfernen. Ringsherum sind Birken gepflanzt, die Nationalpflanze Finnlands. Der finnische Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover wird aus zwei dreigeschossigen holzvertäfelten Hohlwänden bestehen, die ein Birkenhain voneinander trennt. Mensch, Natur, Technik. Auf kaum ein Land passt der Expo-2000-Slogan besser als auf Finnland. Wo Kälte ist, Moore und Wasser, da sind Birken. Und da ist Wachstum.

Nokia. 1998 wurden weltweit mehr Mobiltelefone als Computer und Autos zusammen verkauft und jedes vierte stammt von Nokia. Wenn Finnen den Namen der teuersten Marke Europas aussprechen, die bald die größte der Welt sein könnte, dann betonen sie die erste Silbe und hauchen die zweite ganz schnell dahin: No:kjah!“ Das klingt japanisch und seltsam eingeboren, dem Land ureigen. Jorma Ollila, der Chef des größten Arbeitgebers Finnlands, erklärte neulich, dass seine Vision für die Architektur des Hauptgebäudes, die Transparenz, die Birken, die Seelage, tatsächlich der Versuch war, eine Metapher für das Land zu schaffen. „Nokia hat viele aufstrebende Firmen einfach mitgezogen. Die Erfolgsgeschichte hat viele Unternehmen in Finnland ermutigt. Und das tut sie noch“, hatte uns F-Secure-Chef Siilasmaa erzählt.

Die Autobahn gabelt sich in Finger auf, die den Verkehr zwischen die Altbauten Helsinkis schieben. Nach drei Abbiegungen parken wir in der Kalevankatu vor einer alten Grundschule. Drinnen schimmern die Wände beige und orange, wir sehen junge Menschen, die sich locker durch Räume mit hohen Decken bewegen. Im Gang hängt ein Banner. Darauf steht: „Everything that can be mobile will be.“ Eine Abwandlung des Satzes Everything that can be digital will be“. Beides sind die Trademarks der Web-Agentur Razorfish.

Wir befinden uns in der finnischen Filiale des weltweiten Agenturnetzes (brand eins, 02/99), zu Besuch im offenen WAP-Labor“, das Razorfish gemeinsam mit Nokia, Ericsson und Phone.com betreibt. Wie absichtlich liegen gelassene Reizwäsche befinden sich auf dem Tisch fünf Handy-Prototypen. Modelle, die Jason Hertling kürzlich aus Tokio mitgebracht hat. Eins schöner als das andere. Jason Hertling leitet das Entwicklungslabor für mobile solutions“. Die Handys, der Satz an der Wand, der Cola-Automat, der per Handy zu bedienen ist, die aufblasbaren Designerlampen, die teuren Sessel, die sich zu silbernen Matratzen ausfalten lassen: Es geht zwar um WAP, das Wireless Application Protocol, aber weil es da noch nicht so viel zu sehen gibt, muss das Design herhalten. Macht nichts, meinen wir, wir haben gestern bei einem Mitarbeiter von HPY, der Helsinki Telefon Gesellschaft, ein WAP-Handy selbst testen können und beteuern, es sei so wie beim ersten Mal im Internet. Plötzlich spricht das Gerät zurück. Keine Stimme am anderen Ende der Leitung, sondern irgendwas auf dem Display. Cool.

Aber weil Jason Hertling Amerikaner ist und kein Finne, redet er. Und verkauft Visionen, wenn die Technik holpert. „Die ganze Sache wird Ende nächsten Jahres explodieren.“ Er meint Indien und all die Menschen, die dort telefonieren wollen und für die in diesem Labor Service-Prototypen entwickelt werden. Dann holt er Luft, sagt: „Es wird ..., es wird...“, bleibt aber die Fortsetzung schuldig, denn die scheint ihn derart zu übermannen, dass er lieber auf Worte verzichtet. Und Bluetooth erst, die Sprache, die alle elektronischen Geräte einer Privatperson miteinander sprechen lässt, oder Wireless LAN, das drahtlose Netzwerk der nahen Zukunft! Jason Hertling bietet eine Kombination aus Entsetzen und Weihnachten, schüttelt mit den Händen einen imaginären Globus vor seiner Brust und sagt: Boom!“ Und seine finnischen Kollegen? Wie kommt er mit denen klar und ihrer ruhigen, besonnenen Art? Na ja“, meint Jason, „die Finnen sind unglaublich schüchtern. In Meetings, wenn es mal nicht weitergeht und jemand einfach nur herumlabert, beobachte ich, wie es denen unheimlich schwer fallt dazwischenzugehen.“ Also ist er es, der unterbricht.

Das Handy klingelt. Am anderen Ende ist die Marketingleiterin der Stadt Oulu. Die Stadt, 400 Kilometer nördlich von Helsinki, wollen wir morgen für drei Tage besuchen. Der Norden Finnlands ist von Netzwerken aus Unternehmen, Instituten und Start-ups überzogen. Deren Knotenpunkte, die Technologiezentren, waren Anfang der Achtziger als Strukturförderung gedacht und entpuppten sich während der großen Krise als Keimzellen für die Heilung des Landes. Technopolis in Oulu ist der wohl berühmteste dieser Synergieparks, ein riesiges, fast organisches Geflecht aus Menschen und Projekten. Seit Mai letzten Jahres ist das Zentrum an der Börse notiert. Die Marketingleiterin möchte wissen, ob wir für das Wochenende schon was geplant haben. Ob wir nicht einen richtig langen Spaziergang machen möchten. Durch echten finnischen Wald.

100.000 qm Technologie im Wald „Finnische Hightech. Jahrtausendelang bewährt“, sagt Aslak Volotinen und zeigt grinsend auf eine Flechte, die einen Stein überzieht. Wir bestaunen die Flechte und staksen weiter hinter Aslak durch den Wald nördlich von Oulu. Ein Gemisch aus klapprigen Tannen, Birken und weiten morastigen Sümpfen, die wir auf morschen Stegen überqueren. Der Himmel ist knallblau, zwischendurch bleiben wir stehen, um auf Geräusche zu achten. Rentiere wären schon toll. Oder ein Elch. Aslak vor uns ist fast zwei Meter groß und halb so breit, trägt eine alte Armeejacke, eine alte Armeehose und einen riesigen Rucksack, aus dem er vorhin in einer Hütte bei einem gefrorenen See unser Mittagessen kramte. Würstchen. Wenn Finnen wandern, machen sie stets ein Feuer und dann gibt es Würstchen.

Zwei Tage Oulu liegen hinter uns. Zwei Tage Kreuzfahrt durch eine Boom-Town, in der Menschen an allen Ecken und Enden basteln, optimieren, vernetzen, als hätten sie nie etwas anderes im Leben getan. „Wir haben uns einfach zusammengesetzt. Und dann haben wir überlegt: Was kann wohl die Zukunft bringen?“, erzählte Pertti Huuskonen, Vorstand der Technopolis in Oulu, über die Anfänge in den Achtzigern. Der Bürgermeister dachte bei einer Cocktailparty laut über die Zukunft der Region nach, eine Woche später bildete sich eine regelmäßig tagende Arbeitsgruppe aus Unternehmern, Politikern und Bürgern, ein Jahr danach lagen der Gemeinde neun Vorschläge zur Abstimmung vor, einer davon war, einen Technologie-Park nach kalifornischem Vorbild aufzubauen, der die Wege zwischen Forschung und Industrie auf ein Minimum reduzieren soll. Im März 1982 zogen die ersten Firmen in die kasernenartigen Gebäude im Norden der Stadt. Eine Million Mark kam vom Staat, die andere Million für die Anschubkosten teilten sich 18 Firmen. Zwei Leute von Nokia waren auch dabei.

Heute bedeckt die Technologiestadt eine Fläche von 100.000 Quadratmetern und in den kleinen Backsteinbauten, die damals der Aufzucht einer Idee dienten, brüten heute die ganz kleinen Start-ups an ihren Konzepten; Faxgeräte und Rechner stehen zur Verfügung. Um sie herum die Großen. Moderne Bürogebäude der Konzerne, die vor 18 Jahren anfingen. Am Rand die kleinen Wohnsilos der Studenten, dahinter, dazwischen und auf der gegenüberliegenden Seite die Universität und das Gebäude der VTT, der staatlichen Forschungsstelle für Technologie.

Die Arbeitsteilung ist denkbar einfach, erklärt Huuskonen, ein zwei Meter großer Lockenkopf mit Spockohren und einer ruhigen, angenehmen Stimme: Die Universität ist für die langfristigen Forschungsprojekte zuständig, also alles, was über zwei Jahre hinausgeht.“ Kann ein Teil der Arbeit von einem Unternehmen verwertet werden, wechselt sie in einen Unternehmensbereich oder ist Boden für ein neues Start-up. Und Austausch ist eigentlich immer da, dafür sorgt schon die Kantine in der Mitte des Geländes, die von allen, Gründern, Studenten und Angestellten der Unternehmen besucht wird. Huuskonens Technopolis Oulu Plc. ist lediglich so etwas wie ein beratender Vermieter, der darauf achtet, dass die richtige Idee mit den richtigen Leuten im richtigen Gebäude landet.

Im Norden wie im Süden hat Technopolis bereits Ableger. Medipolis, mit angeschlossener moderner Uniklinik, die den gesamten finnischen Norden versorgt, und Micropolis, die die Mikroelektronik angeht. In Zukunft sieht Huuskonen den kompletten Norden Finnlands und Schwedens von einem Netz von Polis überzogen. „Die Regierung hat schon zugestimmt“, sagt er und zeigt eine Karte mit den eingezeichneten Standorten. Da gibt es eine Astropolis hoch im Norden, ein Powerpolis an der russischen Grenze, Mediapolis, Soft- und Measurepolis und in Schweden Spacepolis, Assemblypolis, Instrupolis, Hydropowerpolis und viele Polis mehr. Hochtechnologie lässt Geld in die Nordregionen fließen“, sagt Pertti Huuskonen. Sein Ziel: den Bevölkerungsrückgang im arktischen Norden aufhalten.

Ganz andere Probleme in Sachen Rückgang hat der Rektor der Universität in Oulu, Lauri Lajunen, ein paar Straßen weiter. Die Industrie zieht verstärkt Studenten aus den Fakultäten ab, Fachkräfte werden immer rarer. Also einigte man sich darauf, den Postgraduierten Doktorandengänge zu finanzieren. Drei Professuren an seiner Uni sind ebenfalls gesponsert.

Zehn Kilometer südlich der Uni, in Richtung Flughafen, zermartern sich derweil der Bürgermeister der Nachbargemeinde Oulunsalo und sein Marketingleiter die Köpfe darüber, wo sie die Firmen unterbringen, die ihre „Airtown“ besiedeln wollen, ein Industriepark für produzierende Unternehmen, die die Nähe zum Flughafen brauchen. Neben den Plänen für die Zubringerstraße liegt ein Besiedelungsplan der Wohngebiete von Oulunsalo. Die beiden wollen Besserverdienende und junge Familien ansprechen. Würde man sie fragen, ob sich die Gemeinde auch am finnlandweiten Wettbewerb für effektive Lokalpolitik beteiligt, würden sie aufblicken und wie zwei verschworene Abiturienten grinsen. Den Preis haben sie vergangenes Jahr gewonnen.

Blickte man fünf Kilometer weiter nördlich in ein Penthouse auf dem Dach eines hypermodernen Gebäudes, könnte man Saara Lampelo beobachten, wie sie den Wachstumsbedürfnissen ihrer Medipolis nachkommt und neuen Investoren die Vorteile eines der potentesten Zentren für Biotechnologie verkauft. Neben dem Overheadprojektor, auf dem die quirlige Endvierzigerin ein imposantes Chart nach dem anderen auflegt, ist die Tür zum Whirlpool, direkt daneben die Sauna. Die Top-Etage der Medipolis ist rundum verglast, und wenn die Gäste aus dem Whirlpool sehen, überblicken sie, jenseits der Stadt, die dichten Wälder nordöstlich von Oulu.

„Die Sauna ist das Herz des Wohnens“, erzählt Aslak, unser Führer, während er vor uns durch das Moor geht. Seine Eltern stammen aus Karelien. Als sie nach dem Krieg nach Finnland kamen und sich im Norden niederließen, bauten sie als Erstes eine Sauna. Verdienten damit ihr Geld. Und bauten im Winter danach das Wohnhaus. In Finnland kommt die Sauna nicht nur zuerst, sie ist oben. Auch in Nokias Hauptgebäude liegt die Firmensauna, für jeden zugänglich, im obersten Stockwerk, über dem Büro des Vorstands. Und je kälter es im Winter wird in Finnland, umso enger rücken sie zusammen, die Chefs, Angestellten und Arbeiter im Land.

Am Ende des Tages, gem auch nach Gesprächen und Sitzungen mit Geschäftspartnern, ziehen sie sich aus, nehmen einen Saunalappen aus Zellulose, setzen sich nackt nebeneinander in einen brüllend heißen Raum und schwitzen. Zwischendurch steht jemand auf und gießt mit Baumteer aromatisiertes Wasser auf die glühenden Kohlen. Dann schwitzen sie stärker. Und schwatzen. Denn wenn die Finnen sich ihrer Kleider und Titel entledigt haben, werden sie gesprächig. Blicken aus den Fenstern über die Stadt oder in die Landschaft, immer in die beste Richtung, schwitzen, trinken ein paar Biere zwischendurch. Und nach und nach entspannt sich das Hirn von den Wirrungen des täglichen Geschäfts, das wie jede Eitelkeit mit den Kleidern abgestreift ist. Hier werden Übernahmen noch mal auf niedrigstem Blutdruck nachbereitet, Erfindungen ohne jede Spur von Adrenalin abgewägt und Kooperationen kurz vor dem Abschluss vor nackte Tatsachen gestellt. Was in der Sauna besteht, besteht vor der Welt.

Weihnachtsbäume, Rentiere, Abendsterne Der Himmel war anderthalb Stunden rot gefärbt, langsam wird es dunkel. Wir umrunden einen kleinen See, passieren ein Haus mit Wetter-Elch auf dem Dach. Nach 500 Metern gehen wir auf ein Holzhaus zu, durch die Fenster scheint Licht. Auch das Innere des Hauses ist komplett aus Holz. Scheinbar werden wir erwartet, überall leuchten Kerzen, es duftet nach Tee und Keksen.

In der Küche stellt uns Aslak seinen Freund vor, der für uns die Wanderhütte vorgewärmt hat. Olli Tikkanen, ein kleiner etwa 50-jähriger Mann mit einem grob gemusterten Wollpulli über dem kugelrunden Bauch. Bart und Haare sind braun, seine rehbraunen Augen blitzen uns an. Jari, der uns morgens mit dem Auto rausgefahren hat, ist auch hier. Etwas später sitzen wir am Tisch, trinken Tee und essen Milchbrot.

Olli Tikkanen besitzt jede Menge Rentiere. Wie viele? Darüber redet man nicht, so nahe bei Lappland. Und Weihnachtsbäume züchtet er auch. Er erzählt von seiner Frau, die das süße Milchbrot, Pulla, gebacken hat, von seinen Kindern, und wir lernen, dass Nachzügler auf Finnisch „Abendsterne“ heißen. Dann erzählt Olli Tikkanen, der aussieht wie der leibhaftige Weihnachtsmann, die Geschichte von dem Frosch, der auf dem See vor seinem Haus festgefroren war. Als er neulich mittags aus dem Haus kam, sah Olli den Frosch mitten auf dem See auf dem Eis hocken. Das linke Bein war festgefroren, der Frosch kam nicht vom Fleck. Olli nahm sein Boot, ruderte zur Mitte des Sees und machte den Frosch vorsichtig los. Die Nacht verbrachte der Frosch in Ollis Scheune, und als er sicher war, dass das Bein wieder gesund und aufgetaut war, setzte sein Sohn den Frosch im Wald an einem kleinen Bach aus.

„Wie der da wohl angefroren ist?“, fragt Jari. „Vielleicht ist er vom Wind auf den See getrieben worden“, überlegt Aslak. „Oder er wollte ans andere Ufer und hat in der Mitte eine Verschnaufpause eingelegt“, sagt Jari. Und Olli: „Das kann sein. Da war auch ein Baumstamm an der Stelle angefroren. Mag sein, dass er dahinter Schutz vor dem Wind gesucht hat.“ So kann es gewesen sein. Wir stimmen zu und brechen auf. Bedanken uns beim Weihnachtsmann für Tee und Brot. Zurück nach Oulu. Im Auto holen wir vier unsere Handys heraus und verschicken erst SMS-Nachrichten, hören dann die Mailboxen ab, vergleichen unsere Klingelzeichen. Als wieder Stille eingekehrt ist und wir durch die Dunkelheit fahren, sagt Asiak: „Früher habe ich Olli oft besucht. Jetzt nicht mehr. Schade. Seit ich so viel arbeite, können wir nicht mehr in die Sauna gehen.“ Smart Clothing im einsamen Norden Am nächsten Morgen fahren wir Richtung Norden. Bäume, Himmel und Felder: eine perfekte Mischung aus Weiß, Grau und Silber. In der Morgendämmerung ist der Horizont nicht auszumachen, denn etwas scheint sich zwischen Himmel und Erde festzukrallen, um bloß kein Licht durchzulassen. Der Himmel ist irgendetwas über uns, der verwischtere Teil einer Landschaft aus vereisten Pfeifenstopfern und pudrigen Seen. Auf den abgerodeten Löchern zwischen den Waldstücken stehen ein paar kahle Tannen, Samenspender für die Wiederaufforstung. Mit ihren Nadelwuscheln in den Wipfeln sehen sie aus wie Zahnstocher für die Trolle, die aus dem Märchenwald stapfen könnten, um sich ein paar der Rentiere zu gönnen, die auf den Lichtungen herumstehen.

Es ist fast zehn, wir sind auf dem Weg nach Rovaniemi am Polarkreis, noch immer ist es nicht richtig hell. Und wir nicht wach. Die Finnen sind pro Kopf zwar die stärksten Kaffeetrinker europaweit, doch ist der nie stark genug. Gemeinsam mit der lahmen Dämmerung, die sich müde nach oben quält, lebt es sich im Norden tagelang in einem inneren Dämmerzustand. Idealbedingungen für Grübler. Idealbedingungen für Tüftler.

Drei Nachwuchstüftler der feinsten Sorte stehen eine Stunde später vor uns. Das kleine Büro im Seitentrakt der Universität von Lappland in Rovaniemi ist gerade mal zehn Quadratmeter groß, die Tische quellen über von Stoffschnipseln und Papierstapeln, an den Wänden hängen Poster von Hightech-Soldaten mit Voicecontrol-Helmen und Designzeichnungen von Mäusen mit Computerdisplays. In der Mitte des Raumes steht eine Schneiderpuppe, auf der hängt eine Netzweste. Vor der Brust, unter den Armen und an den Nieren sind graue Holzblöcke in Klettverschlusstaschen eingelassen. Die Weste ist das Herzstück des Smart-Clothing-Projektes der Outdoor-Bekleidungsfirma Reima. Und die drei Studenten, die sich das enge Büro teilen, könnten nicht zuversichtlicher und stolzer aussehen. Ihr Prototyp geht in die Testphase. Ein Snowmobil-Anzug, der seinen Träger selbsttätig überwacht, wärmt und bei Bedarf Hilfe ruft.

Hier in Rovaniemi arbeiten zwei Industriedesigner und zwei Textildesigner an dem Anzug. Die Elektronik kommt von der Technischen Universität in Tampere 160 Kilometer nordwestlich von Helsinki, der Auftraggeber Reima sitzt in Kankanpää, eine Autostunde von Tampere entfernt. Das Global Positioning System (GPS) entwickelt Suunto, die Pulsfrequenz und die Temperaturüberwachungssysteme stammen von Polar Electro aus Oulu. Du Font Fibre Systems testet mit dem Anzug einen bis auf 100 Grad heizbaren Stoff, seit Dezember ist Nokia dazugestoßen, um die Telekommunikation zu entwickeln. Das Innenleben, das über der Puppe hängt, ist eine feine Mischung aus Bewegungsmessern, Thermometern, Pulsmessern, Leitsensoren (die auf Kontakt mit Feuchtigkeit reagieren), einem Positions- und einem Kommunikationssystem.

Fällt der Snowmobiler zum Beispiel durch ein Eisloch ins Wasser, bemerkt das die Sensorik, der Anzug schickt zuerst ein Notsignal raus und wirft das Wärme-Aggregat an. In die Oberarme des Anzugs sind Eispickel integriert, um ins Eis hacken und sich aus dem Wasser ziehen zu können. Danach kann ein luftdichter Hypothermiesack ausgefaltet und darin auf Hilfe gewartet werden. Oder man nimmt die Tasche ab, die am Oberschenkel klebt, füllt sie mit Schnee, zerbricht den Zwei-Komponenten-Heizstab und kocht sich ein Süppchen.

Die auffälligste Neuerfindung allerdings ist die Steuerungseinheit für den Anzug: eine farbige Computermaus mit Display auf der Oberseite. Der Clou: Das kleine Ding ist auch mit dicksten Handschuhen noch kinderleicht zu bedienen. Das Kabel, an dem die Maus im Anzug steckt, besitzt eine Rollmechanik, die gleichzeitig die Funktionen über das Display scrollt. Geklickt wird an den Seiten. Bei Minusgraden jenseits aller Gemütlichkeit lässt sich so immer noch bequem die Wettervorhersage, die eigene Position, die der snowmobilenden Kameraden oder der nächsten Tankstelle mit Kaffemaschine abrufen.

Wir gehen in die Cafeteria der Uni. „Kinder haben schon ihre eigenen Mobiltelefone“, sagt der angehende Textildesigner Mikko Malmivaara. Mit seiner Schlabberhose, den breiten Schultern und der kleinen Brille auf der Nase sieht er aus wie ein intellektueller Snowboarder. „Die Hightech-Decke ist so dünn, du kannst schnell sehen, was dahinter liegt“, findet Niilo Alfthan einer der beiden Industriedesigner. Und was liegt dahinter? „Die Jukka Brothers!“, grölt Mikko. Alle lachen.

Die Jukka Brothers sind ein Pausen-Film auf dem Musiksender MTV. Vier teigige Brüder mit Inzuchtgesichtern leben in einer zusammengezimmerten Hütte in einem Birkenwald und gucken dort MTV. Der Jüngste macht mit einem primitiven Skateboard die Tricks aus den Videos nach. Er rutscht aus, das Brett landet im Fernseher. Zur Strafe ziehen die anderen dem Kleinen die Wollhose runter und versohlen ihm so lange den blassen Finnenpopo, bis sich das MTV-Logo rot auf seiner Arschbacke abzeichnet. Zum Abspann ein Lied: „Jukka, Jukka, Jukka!“ Der Wald ist die Kirche Finnlands.

Der Spot stammt aus schwedischer Feder. Ausgerechnet. Seit Jahrhunderten gibt es diese Hassliebe zwischen den smarten Schweden, die es so gut verstehen, aus der kleinsten Idee eine globale Marke oder einen Popsong zu machen, und den schüchternen Finnen, die am liebsten ihre Ruhe haben wollen. Keiner der drei Studenten, die wie jeder europäische Großstadt-Twen aussehen und reden, möchte den einsamen Norden verlassen. Oder gar Finnland. Wegen der Natur, sagen sie.

„Wir sehen auf einmal die guten Seiten von Finnland. Dieses Land hat gerade mal das Industriezeitalter verlassen“, sagen sie. „Wir sind in gewisser Hinsicht noch nicht vom Baum herunter. Wir sind noch unterwegs“, sagte Anna-Kaisa Heikkinen, jene Mitarbeiterin des finnischen Expo-Büros, die uns vor einer Woche auch von der „sexy F-Secure-Aktie“ erzählt hatte.

Wenn diese nächste Generation, die auf Weltkongressen die 20 bis 30 Fachleute aus demselben Gebiet trifft und per SMS und Handy tausendfach die aktuelle Lage durchgibt, wenn diese jungen Leute von dem Land reden, dessen Sommer sie an mückenumschwärmten Seen verbringen sind in dem sie im Winter durch vereiste Landschaften wandern, dem Land, wo die Menschen tagsüber in Cafes neben gleißend hellen Tageslichtlampen, abends in der Sauna hocken und am Wochenende Tango tanzen, wenn diese jungen Menschen von ihrem Land erzählen, das sie irgendwie als zurückgeblieben empfinden, dann reden sie alle irgendwann von Bäumen und Seen. „Wir haben eine andere Beziehung zum Wald“, sagte Anna-Kaisa. Der Wald ist die Kirche Finnlands“, sagt der Industriedesigner Niilo Alfthan.

Zwei Tage später fahren wir mit dem Auto durch Südfinnland in Richtung Schweden und Meer. Wir wollen nach Kankaanpää und Pentti Hurmerinta treffen, den Chef von Reima. Im Radio läuft California Dreaming auf Finnisch. Ein brauner Schleier bedeckt Bäume, Felder, Straße und Autos, als hätte jemand alles mit einem Schlammschlauch abgespritzt. Auf den sanften Hügeln sitzen die rostroten, gelben und lindgrünen Häuser genauso ohne was beieinander wie die alten Männer in den Tankstellenkneipen am Rande der Landstraßen. Ohne viel Worte und eitlen Schnörkel, Bier und Wodkagläser wie Garagen für ihre Gedanken neben sich geparkt.

Die Ideenschmiede im Saunaraum In Kankaanpää ist nicht Nokia der größte Arbeitgeber, sondern Reima mit seinen 250 Mitarbeitern. Und der Chef ist kein zurückhaltender Gentleman, sondern eine zwei Meter große charismatische Stimmungskanone mit Hang zum Kettenrauchen. Kein Wunder, Pentti Hurmerinta ist halb Finne, halb Schwede. Der Chef der Bekleidungsfirma, die wetterresistente Kinder-, Armee- und Motorradbekleidung produziert, sitzt in einem niedrigen Ledersessel mit Holzlehnen. Über ihm an der Wand hängt ein Elchkopf. Im Sessel daneben liegt sein Jagdhund, CEO, und leckt sich den After. „Das ist sehr wichtig für ihn. Wir dürfen ihn jetzt nicht stören“, sagt Pentti Hurmerinta, und guckt den Hund an wie ein Geschöpf Gottes, „er küsst seinen eigenen Arsch.“ Der Raum ist eine Siebziger-Jahre-Mischung aus Partykeller mit Swimmingpool und Versammlungszimmer. Hinten links ist, naturlich, die Sauna. 1982 brannte dieser Raum komplett ab. Pentti Hurmerinta ließ ihn originalgetreu nachbauen. Wieso? „Keine Ahnung“, sagt der 52-Jährige, wedelt mit seinem Arm, an dessen Ende eine Zigarette hängt, und erzählt, wie er auf die Idee zum Smart-Clothing-Projekt kam.

Vor zwei Jahren fragte sich Hurmerinta, seit 1971 an der Spitze, was Reima eigentlich bis dato erreicht habe. Die Farben waren von Blau zu Rot gewechselt, vielleicht auch mal die eine oder andere Tasche von rechts nach links und die Produktionsstätten wandern weiter Richtung Osten. Ein paar Wochen später saß er im Flugzeug, unterwegs zu einer von Reimas Fabriken nach Peking. Neben ihm ein Freund, Heiki Mattila, ein Psychologe. Nach so zwei, drei Gin-Tonics fragte Hurmerinta seinen Freund, ob man nicht Kleidung mal ganz anders denken könne? Statt immer nur geradeaus, mal horizontal, völlig in die Breite? Ich weiß nicht. Aber ich guck mal“, meinte Mattila.

Einen Monat später saßen zwölf Professoren und Studenten im Partykeller, Industriedesigner, Textilfachleute, Elektroniker, jemand von Nokia war auch dabei, und diskutierten. Zur selben Zeit traf Pentti Hurmerinta den Bürgermeister von Kankaanpää auf einer Party. „Was machst du eigentlich mit deinen Leuten“, fragte der Bürgermeister, „wenn die Produktion hier zu teuer wird?“ „Entlassen“ , meinte Hurmerinta. Könne man da nicht was machen? Kann man schon, meinte Hurmerinta und erzählte von dem Treffen im Saunaraum. „Brauchst du Geld?“, fragte der Bürgermeister und: „Wie viel?“ Irgendwann rief der Bürgermeister zurück. Er habe gerade mit dem Premierminister gesprochen. Das mit dem Geld gehe klar. 2,5 Millionen Mark kamen von Tekes, der staatlichen Technologieförderung, für die anderen zweieinhalb Millionen steht Reima gerade. Für 2000 sind sieben Millionen eingeplant, ein Drittel davon trägt Reima. „Das Wichtigste ist nicht das Produkt, sondern was es mit sich bringt“, sagt der Manager: „Wandel.“ Die Publicity wird Reima und sein Image verändern. Nächstes Jahr macht in Helsinki der erste Reima-Shop auf. Dann werde man Kleidung kaufen können wie ein Auto. Es wird Körper-Scansysteme geben und viele Möglichkeiten. Sicher, der Anzug wird sehr teuer, meint Hurmerinta, aber er könne sich noch erinnern, wie er 1985 sein erstes Mobiltelefon kaufte, so ein Riesending mit Koffer. Acht Kilo wog das Teil. Und er hat es überglücklich und stolz durch die Straßen Kankaanpääs getragen.

Systeme im Chaos entwickeln Noch ist die Zielgruppe für den Anzug klein, ein paar tausend Polarforscher und Snowmobiler weltweit. Doch was danach passieren wird, wird die Zukunft zeigen. Inzwischen: vom bleiben, den Verbraucher beobachten, Kernentwicklungen patentieren und den Rest den Nachzüglern überlassen. Das Nokia-Prinzip.

„Neue Zustände bringen neue Probleme. Positive Probleme“, sagt Pentti Hurmerinta. „Irgendwann habe ich akzeptiert, dass ich im Chaos existiere und lediglich neue Elemente für dieses Chaos produziere. Das Problem ist nur, daraus ein System zu bilden“, sagt er und die Ideen dafür, die kommen bei der Jagd. Wenn Mensch und Tier in Teamarbeit den Elch umkreisen, morgens, wenn der Wald dampft und die Spuren frisch und saftig im Boden stecken. „Dann wird alles plötzlich sehr, sehr... primitiv“, sagt Pentti Hurmerinta, lehnt sich zurück und dehnt seine Knochen.

So, jetzt habe er aber genug erzählt, sagt er und gibt das Wort an Akseli Reho weiter. Der ist 25 Jahre alt, gerade frisch von der Uni und hat letzte Woche seinen ersten Vogel geschossen. Er leitet das Smart-Clothing-Projekt bei Reima. Der Elektroniker erzählt von der technischen Seite des Projektes und seinen Komponenten. Etwas schüchtern und holpernd, doch das ist nicht weiter schlimm. Neben ihm sitzt sein Chef, schaut auf ihn wie auf einen Sohn, steckt sich eine an und bläst den Rauch über den Holztisch. Lässt die Gedanken kreisen, hört zwischendurch dem Jungen zu und nimmt ihn einfach ernst.

Später gehen wir mit Akseli Reho und Mikko Malmivaara durch die Produktionshalle voller Schneiderinnen, deren Jobs die beiden retten sollen. Der Textildesigner ist über Nacht mit dem Zug aus Rovaniemi angereist ist, um die Stoffe für den Prototypen zu checken. Die beiden zeigen uns die 300 Quadratmeter große Fläche, auf der ihr interdisziplinäres Smart-Clothing-Labor im Frühjahr gebaut wird. Ihr Labor soll modern sein, richtig rocken soll es, mit viel Licht und Leinwänden, sagt Mikko. Nicht wie in diesem Siebziger-Jahre-Sauna-Stil, sagen sie und träumen von ihrem Labor und einer Zukunft, die ihnen schon jetzt ein wenig gehört.

Ach ja, die Zukunft. Die Welt, in der Aki Kaurismäki lebt, wird 2021 untergehen, und 1963 war das letzte Jahr, in dem die Menschheit noch was Schönes zustande brachte: einen Cadillac. Danach nur Leid und unnütze Erfindungen wie Internet und Handys, die nichts als leere Nachrichten und Rauschen ins Hirn pflanzen.

Kaurismäki sitzt im Keller seines Hotels Oiva in Ikkala, eine Autostunde nördlich von Helsinki. Viele halten ihn für den Fassbinder Finnlands. Er ist Regisseur von Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ und ,Juha“ und hat dieses ehemalige Altersheim zu einem bewohnbaren Museum des alten Finnlands ausgebaut. Mit seinen Menschen, die ein wenig seufzen, wenn sie ansetzen zu reden, und nie laut werden dabei, die sich freuen, statt stolz zu sein, und erst sprechen, wenn sie etwas zu sagen haben. Und dann manchmal so unbeholfen und schüchtern, als würden sie sich viel lieber kleine Zettel hin und her schieben. Oder SMS-Nachrichten?

Dieses Land „unter der dünnen Hightech-Decke“ hat Kaurismäki so treffend beschrieben, dass es bei allen, die wir trafen, „Kaurismäki-Land“ hieß. Und wo ist es nun? Abgebrannt.

Der Regisseur sitzt im Keller seiner Puppenstube, die ihn wie ein Bunker vor Angriffen der Gegenwart schützt, und ist blockiert. Schon sein letzter Film ,Juha“ war ein Stummfilm. Letztes Jahr hätte er einen neuen drehen sollen. Der Termin stand, die Finanzierung auch, die Schauspieler waren gebucht. Als er sein Drehbuch las, dass er zwei Tage vor dem Dreh fertig hatte, sagte er dem Team ab und schmiss das Skript in die Ecke. „Es war wie ein Kaurismäki-Film. Aber die habe ich früher schon gedreht“, sagt Kaurismäki und macht ein Lächeln: Er zieht die Mundwinkel nach oben, reißt die Augen auf und lässt den Mund dann wieder sinken, wohin er will, nach unten.

Dieses Jahr muss er drehen, sonst kann er die Leute seiner Produktionsfirma entlassen. Doch was?, sinniert er. Wie viel purer geht es nach einem Stummfilm? Zwei Männer vor einer Wand vielleicht, auf der Wand ein Schatten, dazu ein Dialog. „Nehme ich einen Mann weg, das ist schön“, sagt Kaurismäki, und, „ach, den anderen nehme ich auch weg.“ Eine Wand und ein Schatten. Die Wand kann auch weg, bis nur der Schatten übrig bleibt. Aber so was gab es schon.

Während im Keller der Regisseur über die perfekte Reduktion des Films nachdenkt, gehen wir nach oben in den fast leeren Speisesaal des Hotels. Dort sitzen zwei Gäste aus Recklinghausen. Sie sind Fans des Filmemachers, haben im »Stern« von dem Hotel gelesen und sich kurz entschlossen auf die Socken ins Finnlandmuseum gemacht.

Ingo Janowitz, einer der beiden Gäste aus dem Ruhrgebiet, erzählt von seiner eigenen Firma. Mit ein paar Studienkollegen und seiner Examensarbeit in Elektrotechnik hatte er sich selbstständig gemacht. Seine Firma gibt es noch, aus der Gründungsidee wurde nichts. Die drei hatten ein Lautsprechersystem entwickelt, das einfach in Erco-Lichtschienen eingeklinkt wird. Nach der Präsentation bei Erco meinte der Marketingleiter: „Ist ja alles schön und gut, junger Mann. Aber wissen Sie denn nicht? Wir machen doch Licht!“ __ //